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Das Thüringer Königreich, die Heilige Radegunde und Frankreich



Mühlberg ist einer von etwa vierzig Radegundisorten im deutschsprachigen Raum, an denen dem Wirken der Heiligen Radegunde gedacht wird. Wesentlich bekannter ist sie in Frankreich. Neun französische Orte tragen ihren Namen und an 150 Stätten wird ihr Andenken gepflegt.

Radegunde wurde als Tochter des damaligen thüringischen Königs Berthachar um 518 geboren. Der Vater fiel einem Mordanschlag zum Opfer und auch die Mutter starb sehr früh. Radegunde und ihr jüngerer Bruder wuchsen am Hof ihres Onkels Hermenefred, der sich zum Alleinherrscher des Thüringischen Reiches machte, auf.

Im Jahr 531 vernichten die Merowingerkönige Theuderich und Chlotar das Thüringer Königreich. Die beiden königlichen Nachkommen, Radegunde und ihren Bruder, führen sie als Kriegsbeute mit sich. Chlotar ließ Radegunde eine vorzügliche Erziehung und Bildung angedeihen. Sie lernte Lesen und Schreiben, Sprachen und Reiten und wurde mit weltlicher und kirchlicher Literatur bekannt gemacht. Nie konnte sie jedoch die Schrecknisse des Krieges vergessen. Persönlichen Trost fand sie in glühender Reliquienverehrung. Schon in sehr jungen Jahren widmete sie sich der Pflege und Fürsorge Kranker und Bedürftiger.

Radegunde versucht vergeblich, sich der Ehe mit Chlotar zu entziehen. Zwischen 535 und 540 findet die Hochzeit statt. Radegunde lebt weiterhin asketisch. Durch ihre Vorbildwirkung übt sie einen gewissen Einfluss auf den König aus, kann aber sein unberechenbares, brutales Wesen nicht grundsätzlich ändern. Im Jahr 555 wird Radegundes Bruder, sicherlich auf königliche Veranlassung, ermordet. Wahrscheinlich vermutete Chlotar Besitzansprüche auf Thüringen. Radegunde flieht vom Königshof, stellt sich unter bischöflichen Schutz und lässt sich zur Diakonin weihen, was auch Scheidung bedeutete.

Trotzdem verfügte sie weiterhin über finanzielle Mittel. Sie richtete in Athies ein Hospital ein und in Saix ein Haus, in dem junge Mädchen gemeinschaftlich lebten und Bedürftige pflegten. Die Einrichtung in Saix musste auf Verlangen Chlotars geschlossen werden. Radegunde durfte jedoch in Poitiers ein neues Kloster bauen, das zunächst Notre Dame geweiht war. Aus Konstantinopel bekam Radegunde auf innigsten Wunsch eine Kreuzesreliquie gesandt und somit erhielt das Kloster den Namen Sainte Croix. Die Grundmauern von Radegundes Klosterzelle und dem sich anschließenden Oratorium sind noch heute erhalten. Radegunde legte die Leitung des Klosters in andere Hände, um ausschließlich dienen zu können. Immer verlangte sie sich mehr Leistung ab, als sie ihren Mitschwestern zumutete. Durch ihre Persönlichkeit bildete sie den Mittelpunkt der Gemeinschaft.

Das ehrende Gedenken für die Urchristin und Volksheilige wird seit ihrem Tod am 13. August 587 gepflegt. Die einzige  Kultstätte in Thüringen und die älteste überhaupt befindet sich auf dem Vorgelände der Mühlburg. Diese Kapelle ist wahrscheinlich von den ersten christlichen Grundherren, den Mönchen von Echternach, errichtet worden. Meinhard I., seit 1140 Burgherr, hat die Radegundiskapelle erneuern lassen. In den Dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden die mannshohen Mauerreste der Kapelle freigelegt, leider jedoch abgerissen, sodass heute nur noch die Grundmauern sichtbar sind. Zum 1400. Todestag von Radegunde wurde am 13. August 1987 innerhalb der Grundmauern feierlich ein Gedenkstein gesetzt, der an Radegundes karitatives Wirken erinnert. Alljährlich am Sonntag, der auf den 13. August folgt, steigt nach einem ökumenischen Gottesdienst in der Sankt Lukas Kirche Mühlberg eine  Prozession zur Kapelle hinauf, um Radegundes Andenken zu ehren. Diese Prozession nennt sich „Gemeinsamer Weg“.

Im Turm der Mühlberger Sankt Lukas Kirche gibt es ebenfalls seit 1987 eine Radegundiskapelle. Dort hängt ein Meditationskreuz, dessen Gestaltung der Hymnus „Vexilla regis prodeunt“ zugrunde liegt. Dieser wurde von Venantius Fortunatus, einem guten Freund Radegundes, anlässlich der Einholung der heiligen Kreuzreliquie im Jahr 569 gedichtet.

Die Radegundiskapelle an der Mühlburg ist immer begehbar. Die ihr gewidmete Kapelle in der Sankt Lukas Kirche kann im Rahmen der Öffnungszeiten der Kirche, täglich von 8 Uhr bis 18 Uhr besucht werden.

Geschichte des Thüringer Königreiches


Wappen des Königsreichs

Nach dem Sieg über den Hunnenkönig Attila und dessen Ermordung entstand im Jahr 453 das Thüringer Königreich. Gemessen an den heutigen Ländergrenzen erstreckte sich dieses Großreich über das heutige Bundesland Thüringen, Teile von Hessen, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen. Die Radegunde war Prinzessin dieses Großreichs. Der älteste, historisch gesicherte Thüringer König hieß Bisin , er war der Großvater von Radegunde. Bisin regierte über das Thüringer Großreich als Alleinherscher, war mit Menia verheiratet und hatte mit ihr vier Kinder, drei Söhne und eine Tochter. Nach dem Tod des Thüringer Altkönigs im Jahr 505, teilten dessen Söhne Baderich, Herminafried und Bertachar das väterliche Erbe unter sich auf, wobei Herminafried wohl die entscheidenste Rolle unter ihnen einnahm. Nach dem Tod der Könige Baderich (kinderlos) und  Bertachar  (Vater von Radegunde) übernahm  Herminafried die alleinige Herrschaft über das Reich. In der Schlacht an der Unstrut, um 531 griffen die Franken, geführt von den Königsbrüdern Chlothar und Teuderich, das Thüringer Königreich an und brachten es in ihren Besitz, womit dessen Untergang besiegelt war.



 

Die Thüringer Prinzessin Radegunde


Radegunde wurde um 518 als Tochter des Thüringer Königs Bertachar geboren. Sie hatte noch mehrere Brüder, deren Namen aber nicht bekannt sind. Ihr Vater und ihr Onkel Baderich starben beim Widerstand gegen die fränkische Expansion, so dass sie bereits wenige Jahre nach ihrer Geburt zur Halbweise wurde. Gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder wuchs Radegunde am Königshof ihres Onkels Herminafried auf.
Beim Untergang ihrer Heimat geriet sie zusammen mit ihrem Bruder in fränkische Gefangenschaft und wurde von König Chlothar als Kriegsbeute nach Frankreich verschleppt.

 

Radegunde in Frankreich

Die damals ca. 13 jährige Radegunde wurde von Chlothar auf dessen Königshof zu Athies (in der Grafschaft Vermondois, südlich von Peronne) gebracht und zwar, wie es in den schriftlichen Quellen heißt, „der Erziehung wegen“. Die Thüringer Königstochter wuchs hier zu einer überaus gebildeten Frau heran, wurde literarisch ausgebildet und in Latein unterrichtet. Darüber hinaus erhielt sie eine religiöse Ausbildung und wurde im katholischen Glauben erzogen. Mit dieser katholischen Erziehung wurde der Grundstein für ihr weiteres Leben gelegt: Eine innige und aus der Tiefe des Herzens kommende Frömmigkeit sowie eine stete, mitunter nahezu grenzenlos verschwenderische Nächstenliebe.

Königin der Franken


Merowinger-König Chlothar  nahm Radegunde um 540 zu seiner Gattin und führte mit ihr bereits seine dritte Frau heim. Während der Ehe entfaltete sie ihre Religiösität, begann eine Form von geistlichem und karitativem Leben zu pflegen, wie es einer Merowinger Königin kaum zukam. Wegen ihres religiösen Lebensstils kam es häufig zu Streit und Auseinandersetzungen mit Chlothar  Die Ehe blieb kinderlos, sie adoptierten jedoch ein Mädchen namens Agnes und zogen es auf. Der Tod ihres Bruders, der von Fränkischen Soldaten im Auftrag ihres Mannes ermordet wurde, traf Radegunde so tief, dass sie sich schließlich von Chlothar trennte. Die Ehe mit dem König der Franken währte etwa 10 Jahre lang.

Leben als Wohltäterin und Nonne


Nach der Trennung von Chlothar lässt sich Radegunde vom Bischof von Noyon zur Diakona weihen. Sie begibt sich auf Pilgerfahrt, fährt nach Tours zum Grab des heiligen Martin, des „Nationalheiligen“ der Franken und zieht sich, nachdem sie ihre weltlichen Gewänder abgelegt hat, auf das Landgut in Saix zurück. Hier lebt sie mit einer Gruppe Gleichgesinnter Frauen und führt ein Leben in christlicher Nächstenliebe und Enthaltsamkeit, widmete sich ganz den Armen und Bedürftigen. In ihrem Bedürfnis nach Gottesnähe beginnt Radegunde Reliquien zu sammeln und steht damit im Ruf der Heiligkeit.
Eine Frau von solchem Charakter und solcher Größe aufgegeben zu haben, veranlasst Chlothar, aus tiefster Reue, einen Versuch zu unternehmen seine Exgattin aus Saix zurück zu holen, was jedoch scheiterte.
Radegunde, die sich jetzt von der Fessel des weltlichen Lebens befreit und sich dem klösterlichen Leben endgültig zugewandt hat, gründet um 555/56 ein Frauenkloster in Poitiers. Beim Bau des Klosters sicherte Chlothar dieses Unternehmen durch Geschenke.

Diese kommen sowohl der Klostergemeinschaft als auch Radegunde zu Gute und bilden einen wichtigen Grundstein für die Gründung des Klosters. Das Kloster selbst stellt er dauerhaft unter seinen Schutz.
Zur ersten Äbtissin des Nonnenklosters wurde Radegundes Ziehtochter Agnes gewählt, die damit auch die Leitung des Klosters übernahm. Radegunde selbst lebte im Kloster als ein-fache Nonne. Mit dem Tod Chlothars, um 561, wird das Frankenreich unter dessen vier Söhnen aufgeteilt, von denen sich Radegunde den Fortbestand des Klosters rechtlich absichern lies. Schutz und Beistand erbittet sie für ihr Lebenswerk auch von den Bischöfen Galliens, die ihr diesen um 575 zusichern.
Ab ca. 567 wird das Leben im Kloster nach dem Vorbild der Caesariusregel geführt, was unter anderem strikte Klausur und radikale Besitzlosigkeit bedeutet. Um diese Zeit lernt Radegunde den römischen Dichter Venantius Fortunatus kennen und bittet ihn für das Kloster die Funktion des „Außenvertreters“ zu übernehmen. Diese Funktion wird von ihm weit über 20 Jahre lang ausgeübt. Zwischen Radegunde, Agnes und dem Dichter bestand eine enge Seelenfreundschaft, von der Fortunatus in vielen Versen und Briefgedichten berichtet.
Um 570 empfängt Radegunde vom Kaiser Justin II. aus dem Kreuz Christi zwei Splitter als Reliquien, die im Kloster noch heute deponiert sind. Seitdem wird es Heilig Kreuz Kloster (Sainte-Croix) genannt.
Radegunde starb am 13. August 587 und wurde auf ihren Wunsch hin in der zum Kloster gehörenden Grabeskirche bestattet. Bereits kurz nach 600 wird die Grabeskirche nach der Verstorbenen „Sankt Radegunde“ (Sainte-Radegonde) benannt.

Radegunde-Verehrung


Radegundiskapelle in Saix (Frankreich)

Nach ihrem Tod verbreitete sich ihr Ruf als Heilige rasch im ganzen Land. In Frankreich wurden ihr um die 150 Kirchen und Kapellen gewidmet, später auch in England, Österreich, Belgien, Italien bis hin nach Kanada und dem Kongo. Sie ist Patronin von Poitiers und des Jesus Colleges in Cambrige. Anlässlich ihres 1300. Todestages stiftet Papst Leo XIII. im Jahre 1887 eine goldene, mit Edelsteinen geschmückte Krone, die der Statue der Heiligen im Dom von Poitiers aufgesetzt wurde.In Thüringen erinnern die Überreste der Kapellen auf der Mühlburg und in Helfta, in der Nähe von Eisleben, an die berühmte Thüringerin.

Radegunde-Kapelle auf der Mühlburg

Die Existenz einer ehemaligen Radegunde-Kapelle auf der Mühlburg lässt sich erstmals 1333 im Besitzverzeichnis der Erzbischöfe von Mainz nachweisen.
Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist die Kapelle älter, da die sichtbaren Grundmauern aus romanischer Zeit stammen.
In den 30-er Jahren des vorigen Jahrhunderts legte der Burgwart Richard Opel aus Mühlberg die vorhandenen mannshohen Mauerreste mit Zustimmung des damaligen Burgenbeauftragten vom Land Thüringen Bauingenieur Sesselmann, frei.
Leider wurden 1945 aus Unwissenheit diese Mauerreste abgetragen, so dass heute nur noch die Grundmauern erkennbar sind.
Während eines ökumenischen Jugendtreffen 1987 wurde innerhalb der Grundmauern der Kapelle ein Gedenkstein mit folgender Inschrift errichtet.



Radegunde-Kapelle in der St. Lukas Kirche

Im Jahre 1987 wurde im Turm der St. Lukas Kirche von Mühlberg eine der heiligen Radegunde gewidmete Gedächtniskapelle eingerichtet.
In dieser Kapelle befindet sich ein Meditationskreuz von Gerd Weber aus Gräfenhain/Thür., dass er zum 1400 Todestag gestaltete.Der Ausführung des Kreuzes liegt der Hymnus
„Vexilla regis prodeunt“ zugrunde. Dieser wurde von Venantius Fortunatus, dem Biograph von Radegunde, im Jahre 569 verfasst.
Im Sommer 2009 stiftete Herr Heino Gloystein aus Wiefelstede/Oldenburg eine Radegunde Statue für diese Kapelle. Er schnitzte sie aus Dankbarkeit für die Erhaltung seines Augenlichtes.
In der Neugestaltung des Kapellenraumes (2009) wurde ein Altarfragment mit eingefügt.
Dieses stammt aus der Mühlberger Kirche und wurde bei Umbauarbeiten in den 80-iger Jahren gefunden.



Jedes Jahr am Sonntag nach dem 13. August (Todestag) wird der heiligen Radegunde in Mühlberg gedacht.
Nach einem oekumenischen Gottesdienst in der St. Lukas Kirche erfolgt eine Prozession zur Radegunde-Kapelle auf der Mühlburg.
Somit wird das Andenken der heiligen Radegunde in ihrer Thüringer Heimat lebendig gehalten.

Die Radegunde-Kapelle auf der Mühlburg ist immer begehbar.
Die Kapelle in der St. Lukas Kirche kann im Rahmen der Öffnungszeiten der Kirche täglich von 8.00 – 18.00 Uhr besucht werden.

Quelle:    „Die heilige Radegunde von Thüringen“
                Verlagshaus Thüringen, Band 12 der
                „Grünen Reihe Thüringen“

 
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